- Katja Peteratzinger
Alevitischer Kulturverein Bad Camberg e.V.
Wir sagen, wir sind türkische Aleviten.
Besucher erwartet Offenheit, Gastfreundschaft und Menschlichkeit.
Das Porträt entstand im Rahmen eines öffentlichen Frühstücks der Alevitischen Gemeinde in Bad Camberg, direkt vor der Pandemie, im Frühjahr 2020. Text und Bilder stammen von Katja Peteratzinger.
Als die Einladung zum Sonntagsfrühstück beim Alevitischen Kulturverein kam, hatten wir eines erstmal nicht erwartet: Dass die Männer die Gäste bewirten, die Damen mit Blumen versorgen, den Tisch abräumen und die Frauen das Gespräch übernehmen würden. Hätten Gäste irgendeine Hemmschwelle gehabt, so hätten sie sie sofort und unmittelbar überwun-den, so leicht und unbeschwert haben die Gastgeber den Empfang gestaltet. „Unsere Tür steht allen offen“ sagt Şahin Çinar, der 1. Vorsitzende des Vereins. „In unserem Kreis ist die Viel-schichtigkeit der Gesellschaft genauso gegeben, wie im Rest der Gesellschaft“, fügt Alaaddin Iren, der Pressesprecher hinzu. Sie möchten erklärtermaßen keine Randgesellschaft bilden, sondern freuen sich, wenn viele Menschen kommen, um sie als alevitische Gemeinschaft kennen zu lernen. „Frauen sind bei uns gleichberechtigt“, sagen sie ganz selbstverständlich. Rund 300 Mitglieder zählt der Verein aktuell. Diese kommen aus der ganzen Region, aus einem Umkreis von etwa 30 km rund um Bad Camberg. Der Einfluss reicht in den Goldenen Grund, über Hünstetten, Idstein sogar bis nach Aarbergen.
Bürgermeister Jens-Peter Vogel zeigt sich begeistert. Der alevitische Kulturkreis böte ein ganz ausgezeichnetes Forum, um mit eigenen oder fremden Vorurteilen aufzuräumen. „Ich schätze es auch sehr, dass der Alevitische Kulturverein sich immer wieder einbringt in Bad Camberger Aktivitäten und mit seiner Präsenz Veranstaltungen wie das Kinderkurparkfest, das Diversity Picknick und den Herbstmarkt bereichern“, sagt Vogel. Spontan ist die Idee entstanden, eines der regelmäßigen Sonntags-frühstücke im Rahmen des Diversity Picknicks 2020 öffentlich durchzuführen. Alle sind begeistert von der Idee. Leider musste die Veran-
staltung wegen der Corona-Pandemie abgesagt und damit auch das öffentliche alevitische Frühstück im Kurpark zumindest verschoben werden.
Ali Ekber Çinar aus Selters, seit mehreren Jahrzehnten in einem großen deutschen Unterneh-men beschäftigt, kommt ins Erzählen. Im Mai des Jahres 1969 kam er nach Bad Camberg. Am Grünen Platz sei seine Familie damals eingezo-gen und er selbst wurde in Bad Camberg einge-schult. Der Name Çinar heißt übertragen „Der Ahornbaum“. Das klingt nach Verwurzelung und verwurzelt sind sie auch in ihrer Wahlheimat. Alleine zwei Çinars sind als Stadtverordnete im Magistrat Bad Cambergs aktiv. Sie sind Facharbeiter, Unternehmer, Akademiker, Mütter und Väter, Putzhilfen oder Hausfrauen – was immer man in einer Gesellschaft sein kann. Die Geschäftsstelle der Aleviten befindet sich im ehemaligen Ev. Gemeindehaus in der Eich-bornstraße. „Endlich haben wir eine eigene Immobilie kaufen können“, sagt Çinar.
Gefragt nach dem Besonderen ihrer Glaubens-richtung sagt Sevgi Ağcagül, die 2. Vorsitzen-de des Vereins, dass ihre Religion islamische Grundelemente mit starken mystischen Zügen enthalte und sie sich zur türkischen Republik bekennen. Ihre Lithurgie ebenso wie die Ge-bete seien größtenteils türkisch. Aleviten stammen aus der Türkei und seien türkischer und kurdischer Abstammung. „Die Geschichte der Aleviten geht nach ihrer Überzeugung bis ins 8. Jahrhundert nach Christus zurück. Die Nähe zum Bektaschi-Orden spielt für sie ebenfalls eine große Rolle“, fügt sie abschließend hinzu. Bei dieser Gemeinschaft erwartet Besucher ein anderes türkisches Leben. Und: Offenheit, Gastfreundschaft und Menschlichkeit. Allen gegenüber.



